Am 13. August habe ich mit meinem Freund in Zweierseilschaft den Viertausender Weissmies (4017 m) in den Walliser Alpen bestiegen. Die Idee dafür war schon seit Monaten in meinem Kopf. Vor 22 Jahren hatte ich die Möglichkeit, mehrere Hochtouren in den Westalpen zu machen, unter anderem auf das Weissmies. Die hohen Gipfel haben mich sehr beeindruckt. Aber danach war ich mit dem Germanistikstudium in meinem Heimatland Polen und ein paar Jahre später mit dem Tourismusstudium in München sehr beschäftigt. Die Berge hatte ich so gut wie vergessen, obwohl sie in München fast vor der Haustür liegen. Auch sonst habe ich mich 20 Jahre lang körperlich kaum betätigt. Seit 3 Jahren gehe ich wieder viel in die Berge und erlebe dort unvergessliche Glücksmomente. Die Besteigung des Weissmies an einem herrlichen Sommertag war das größte und schönste Abenteuer in meinem neuen Leben, aber auch eine wahre Herausforderung.
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Tourendaten (ungefähre Angaben):
Höhendifferenz: 2500 Höhenmeter (bergauf und bergab)
Distanz: 30 km
Start-/Endpunkt: Saas Grund (1569 m)
Dauer: 26 Stunden
Übernachtung: Weimiesshütte (2726 m)
Ziel: Weissmies (4017 m)
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Youtube-Video:
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Unsere Bergtour startete, wie immer, ziemlich spontan. Mein Freund hatte sich gerade erst von seinem ersten großen Ironman in Zürich erholt. Für mich war es wiederum sehr wichtig, dass wir ein Wochenende mit viel Sonne und blauem Himmel haben – und das kann man nicht im Voraus planen. Ein Tag vor der Abreise besuchten wir Sport Bittl in München-Allach, wo ich fast 400 € in die spezielle Ausrüstung für Hochtouren investiert habe (Steigeisen, Eispickel, Klettergurt, Karabiner und Eisschraube).
Das Abenteuer begann am Freitagvormittag. Wir starteten mit dem Auto Richtung Schweiz und konnten uns nicht entscheiden, ob wir das Weissmies im Wallis (Schweiz) oder den anderen Viertausender, den Gran Paradiso im Aostatal (Italien) besteigen werden. Im letzten Moment, irgendwo bei Zürich, fiel die Entscheidung für das Weissmies.
Da die Anfahrt etwas länger gedauert hatte als geplant, erreichten wir den Ausgangspunkt unserer Bergtour, den Ferienort Saas Grund, erst gegen 18 Uhr. Dort ging es noch schnell ins Sportgeschäft Intersport besuchen, weil ich die Handschuhe und die Mütze vergessen hatte. Der nette Verkäufer rief in der Hütte an und wir reservierten zwei Plätze im Matratzenlager. Eine halbe Stunde späten machten wir uns auf den Weg. Der Ausganspunkt war die Talstation der Bergbahn in Saas Grund (1569 m). Wir gingen an den malerischen Holzhäusern der kleinen Bergsiedlung Triftalp (2098 m) und an der Station Kreuzboden (2397 m) vorbei. Die Bergbahn war um die späte Uhrzeit außer Betrieb und wir trafen keine anderen Wanderer auf dem Wanderweg, dafür unzählige Murmeltiere.
Kurz nach dem Sonnenuntergang näherten wir uns der Weissmieshütte. Am Abend befanden sich zahlreiche Gämsen auf Felsen und Wiesen unterhalb der Hütte. Ich blieb dort länger stehen, um das wunderschöne Naturschauspiel zu beobachten und zu fotografieren. Bei uns, in den Ostalpen, habe ich bisher nur selten und sehr kurz einzelne Gämsen gesehen.
Die Weissmieshütte befindet sich auf 2726 m. Sie ist der Ausgangspunkt für einige beliebte Hoch- und Klettertouren auf die Gipfel Weissmies, Lagginhorn, Fletschhorn, Jegihorn und Schwarzmies. Kein Wunder, dass an diesem wunderschönen Wochenende viele Bergsteiger und Wanderer in der Hütte übernachtet haben. Wir aßen gleich zu Abend, was in dieser Schweizer Hütte nicht gerade günstig war (die Halbpension kostet ca. 30 €), und gingen gegen 22 Uhr ins Bett. Die Nacht war für mich leider alles andere als erholsam. Wir mussten schon um 4 Uhr am nächsten Morgen aufstehen, aber ich konnte nicht schlafen. Die männlichen Mitbewohner schnarchten laut, die Luft im Matratzenlager war sehr schlecht und ich schlief erst gegen 2.30 ein. Möglicherweise lag es auch daran, dass ich mich noch nicht an die Höhe akklimatisiert hatte. Schließlich hatten wir erst 10 Stunden vorher München (500 m) verlassen und übernachteten nun auf 2700 m. Sicher hatte ich auch Angst, weil mir erst auf der Hütte bewusst wurde, dass die Besteigung des Weissmies über einen riesigen Gletscher mit unzähligen Spalten kein Kinderspiel ist. Es gibt nämlich keine leichten Viertausender. Hier handelt es sich immer um gefährliche Hochtouren, die mit dem Tod enden können. Und mein Freund und ich waren leider nicht besonders gut vorbereitet.
Am nächsten Tag ging es nach dem Frühstück um 5.30 Uhr los. Es war noch dunkel. Trotz der Stirnlampen konnten wir kaum etwas sehen und nahmen einen falschen Weg. Dort erlebten wir einen spektakulären Sonnenaufgang und drehten um.
Kurz vor 6 Uhr erreichten wir die Bergstation und die Hütte Hochsaas (3101 m). Wir gingen auf der Skipiste an der Hütte vorbei und befanden uns gleich am unteren Rand des riesigen Gletschers. Zwei andere Bergsteiger bereiteten sich dort für die Gletschertour vor. Da wir keine Routine darin haben, dauerte es ewig, bis wir mit Klettergurten, Steigeisen und Seilen fertig waren. Direkt am Gletscher, noch im Schatten der Berge, war es ziemlich kalt. Für meinen Kreislauf, der allein schon wegen des Schlafmangels sehr instabil war, war eine Stunde ohne Bewegung in der Kälte viel zu lange. Die lästige Beschwerde, das Raynaud-Symptom, trat schon wieder auf und meine Finger wurden weiß. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt und weiß, dass die Finger kurz darauf wieder normal durchblutet werden, sobald ich mich schneller bewege. Wir gingen gegen 8 Uhr los, aber das Tempo auf dem Gletscher war nicht schnell genug. Die Finger schmerzten und der Schmerz strahlte diesmal sogar auf die Arme ab, was ich bisher noch nicht kannte. Ich bekam panische Angst, dass ich meine Arme verliere und überlegte mir, ob wir die Tour nicht beenden sollten. Gleich aufgeben wollte ich jedoch nicht und ging so schnell, wie ich konnte, um den Kreislauf in Schwung zu bringen. Es dauerte eine Weile, bis sich die Finger und Arme wieder normal anfühlten.
Nach einer Stunde erreichten wir die ersten großen Spalten. Ich war glücklich, wieder „gesund“ zu sein. Wir machten eine kurze Fotopause und wurden von der ersten Gruppe der Bergsteiger überholt. Die Spalten waren beeindruckend – riesig und gefährlich. Die nächste Seilschaft kam vorbei und überquerte eine Schneebrücke.
Wir nahmen den normalen Weg und befanden uns gleich in der wärmenden Sonne. Vor einer riesigen Spalte blieben wir kurz stehen. Der kontrastreiche Blick auf die braunen, schneefreien Gipfel und die weiße Gletscherwelt war atemberaubend. Weiter ging es über einen steilen Firnhang hinauf. Ich musste mich extrem konzentrieren – um so mehr, weil ich wegen des Schlafmangels müde war -, und ging sehr langsam. Normalerweise bin ich in den Bergen sehr flott unterwegs und überhole alle normalen Wanderer. Diese Hochtour war aber alles andere als normal. Wir wurden von den meisten Seilschaften überholt, aber das war mir auch egal. Nicht nur technisch war es für mich sehr schwierig, sondern auch konditionell. Die gute Kondition im Tal, die im letzten Jahr absolvierten zwei Marathons und mehrere 100-km-Rennradtouren waren auf dieser Tour nicht ausreichend bzw. nicht die passende Vorbereitung. Sicher fehlten mir das richtige Training im Hochgebirge und auf dem Gletscher sowie die Akklimatisierung.
An diesem herrlichen Sommertag waren unzählige Bergsteiger unterwegs. Meistens waren es Viererseilschaften, oft in Begleitung eines Bergführers. Zweierseilschaften trafen wir selten und als Pärchen waren wir die Einzigen. Eine Ausnahme stellte einige erfahrene, ältere Bergsteiger dar, die alleine unterwegs waren. Wir gingen durch viele Spalten und immer wieder hatte ich ein mulmiges Gefühl im Bauch. Aber die Ausblicke waren unbeschreiblich schön und ich wusste, dass es sich lohnt, sich für diese Momente anzustrengen.
Bald erreichten wir einen breiten und langen Sattel zwischen dem Westgipfel (3820 m) und dem Weissmies. Von dort aus hatten wir einen herrlichen Blick auf den Gipfel. An dieser Stelle verbrachten wir eine gute Viertelstunde, um uns zu erholen, etwas zu essen und zu fotografieren.
Das Weissmies war nicht mehr weit entfernt, nur noch 300 Höhenmeter. Vom Sattel aus brauchten wir auch nicht viel länger als eine halbe Stunde auf den Gipfel. Allerdings war der Aufstieg auf dem steilen Gipfelgrad sehr schwierig. Teilweise lag Eis auf dem Weg und wir mussten sehr aufpassen, um nicht abzustürzen.
Um 11.30 Uhr, nach 3,5 Stunden Aufstieg über den Gletscher inklusive Erholungs- und Fotopausen, erreichten wir den Viertausender. Es waren nur 1000 Höhenmeter. Trotzdem war für mich der Aufstieg wesentlich anstrengender als der München Marathon vor einem Jahr, den ich in 4 Stunden 15 Minuten absolviert hatte. Ich war erschöpft, aber trotzdem sehr glücklich und stolz auf mich, die Herausforderung gemeistert zu haben. Auf dem Gipfel erholte ich mich schnell und füllte mich wieder fit und stark.
Unser Gipfelglück dauerte eine Dreiviertelstunde Danach mussten wir mit dem Abstieg beginnen, weil es schon ziemlich spät war. Bei Hochtouren über den Gletscher sollte man möglichst früh aufbrechen, um gegen Mittag den Gletscher wieder zu verlassen. Wenn die Sonne stark scheint, wird der Schnee weich und die Schneebrücken sind nicht mehr so stabil. Die Gefahr eines Unfalls steigt wesentlich. Das war uns bewusst, aber wir konnten nichts an der Tatsache ändern, dass wir den Gipfel erst um 12.15 Uhr verließen.
Der Abstieg war kein Kinderspiel. Die Gefahr des Absturzes war noch größer als beim Aufstieg. Nach einer halben Stunde befanden wir uns wieder auf dem breiten Sattel. Wir merkten gleich, wie weich der Schnee wurde. Danach gingen wir an vielen Spalten vorbei und mussten manchmal gefährliche Schneebrücken überqueren. Ich ging vorne, weil es im Sturzfall günstiger gewesen wäre. Mein starker und bergerfahrener Freund hätte mich halten könnten, aber nicht umgekehrt. Auf den Schneebrücken über die Spalten hatte ich richtig Angst. Hier war meine Begeisterung für unsere Bergtour nicht mehr so groß. Ganz im Gegenteil, ich überlegte mir, was es für einen Sinn macht, das eigene Leben so aufs Spiel zu setzen Ich dachte, dass ich nie mehr einen Viertausender besteigen werde und hoffte, dass uns nichts passiert. Trotz der Angst nahm ich meine große Systemkamera aus dem Rucksack raus und fotografierte imposante Spalten.
Alle anderen Bergsteiger befanden sich schon längst nicht mehr auf dem Gletscher. Hinter uns wanderten nur noch zwei Bergsteiger. Es tröstete mich etwas, dass wir nicht ganz alleine unterwegs waren. Als wir, nach 2 Stunden Abstieg, den sicheren Bereich unterhalb des Gletscher erreichten, entspannte ich mich. Ich war sehr glücklich, dass die Besteigung unseres ersten gemeinsamen Viertausenders gelungen war und nichts passiert ist. Es dauerte eine Weile, bis wir mit dem Ausziehen der Hochtour-Ausrüstung fertig waren.
Danach gingen wir über Felsen und Geröllfelder zur Seilbahn Hochsaas hinunter. Am späten Nachmittag erreichten wir die Weissmieshütte, in der wir eine Mahlzeit nahmen und uns nach der anstrengenden Bergtour ausruhten. In der Hütte wollte ich jedoch nicht mehr übernachten. Es war mir wichtig, dass ich in der Nacht schlafen kann. Ich befürchtete, dass die schnarchenden Mitbewohner im Matratzenlager und die Höhe wieder mein Schlaf verhindern. Deshalb begannen wir nach einer Stunde Rast in der Weissmieshütte mit dem Abstieg zum Auto nach Saas Grund.
Wir übernachteten im Zelt auf einem wunderschönen, von den Bergen umgebenen Campingplatz. Diesmal konnte ich sofort einschlafen, obwohl das Schlafen auf einer dünnen Therma-Rest Matte alles andere als komfortabel ist.
An den zwei darauffolgenden Tagen hatten wir keine Lust mehr auf sportliche Aktivitäten. Wir nahmen das Angebot für Touristen in Saastal in Anspruch und machten einen Ausflug mit der Bergbahn (kostenlos) zur Station Felskinn (2989 m). Dort genossen wir bei Kaffee und Kuchen mit anderen Touristen herrliche Blicke auf die beeindruckende Gletscherwelt. Alleine stieg ich auf einen kleinen Gipfel oberhalb der Bergstation hinauf und baute dort einen kleinen Schneemann. Des Weiteren machten wir mit dem Auto einen Ausflug zum Stausee Mattmark und fuhren mit dem Sessellift zum Restaurant Heidbodme (2400 m).
In der Bergbahn trafen wir vier junge Bergsteiger, die nach der Hochtour auf das Strahlhorn ins Tal zurückgekehrt waren. Sie sagten uns, dass der Viertausender wesentlich leichter als das Weissmies ist. Trotz der Schwierigkeiten auf unserer ersten Hochtour weckten sie gleich unser Interesse, einen weiteren Viertausender zu besteigen. Somit haben wir unser Ziel für den nächsten Sommer. Das Leben ist viel zu kurz, um es langweilig zu verbringen und nach den ersten Schwierigkeiten sofort aufzuhören.
„Wenn du glaubst, das Abenteuer sei gefährlich, versuche es mal mit der Routine. Die ist tödlich“. (Paolo Coelho)
2 comments
Hi Ina,
wow, tolle Tour, super beschrieben und danke für die vielen schönen Bilder. Den Weissmies merke ich mir für die Zukunft. Und mit der Routine hast du 100% recht. Man lebt nur einmal, man sollte es in allen Zügen genießen.
Liebe Grüße
Flo
Denke… Ein Viertausender ist allerdings was Besonderes. Wie ich im Bericht erwähnt habe, war es für uns, nur in Zweierseilschaft eine gefährliche Tour. Die Freunde und Bekannten fragen gleich, ob ich einen Gletscherkurs absolviert habe. Nein, ich lieber learning by doing, aber trotzdem wäre es sinnvoll gewesen. Wenn man wenig Erfahrung mit Hochtouren hat, sollte man eher mit einem Bergführer gehen.