Ende August beginnt mein großes Abenteuer – die Wanderung auf dem berühmten GR 20 auf Korsika. Da mein Freund keinen Urlaub nehmen kann, entscheide ich mich, alleine für zwei Wochen nach Korsika zu fliegen. Sechs Tage vor der Abreise buche ich bei Lufthansa einen Flug nach Olbia. Der Preis ist mit rund 500 Euro kein Schnäppchen, aber es ist die einzige Möglichkeit, die „kinderfreie“ Zeit zu nutzen. Mein Sohn verbringt nämlich die letzten zwei Ferienwochen bei seinem Papa.
Die spontane Entscheidung, alleine nach Korsika zu fliegen, bereue ich nach der Buchung mehrmals. Ich habe riesigen Bammel vor dem Abflug. Für große Reisevorbereitungen ist es zu spät. Ich kaufe den Wanderführer „Korsika – GR 20“*, der mir sehr behilflich sein wird.
Ich habe vor, die gesamte Strecke von circa 180 Kilometern mit 13.000 Höhenmetern in zehn Tagen zu bewältigen. Danach hoffe ich auf ein paar erholsame Tage am Strand. Leider habe ich nicht bedacht, dass der GR 20 als einer der schwierigsten Fernwanderwege Europas gilt. Schon am ersten Tag auf Korsika mache ich die Erfahrung, dass es im korsischen Gebirge ganz anders zugeht als in den Alpen.
Zu Hause studiere ich den Wanderführer und erfahre, dass man die Unterkünfte auf dem GR 20 online reservieren sollte (www.pnr.corsica – nur in französischer Sprache). Da ich überhaupt nicht weiß, wie lange ich für die einzelnen Etappen brauchen werde, reserviere ich nichts. Stattdessen nehme ich unser super leichtes Zelt „Vaude Power Lizard“ mit nur einem Kilogramm Gewicht mit. Auf dem GR 20 hat man nämlich mehrere Übernachtungsmöglichkeiten: in Matratzenlagern, in Leihzelten, auf Biwakplätzen im eigenen Zelt und seltener in Mehrbettzimmern in Herbergen (französisch: Gîte) oder Hotels.
Der Wanderführer ist ein Muss für jeden deutschsprachigen Wanderer auf dem GR 20. Die einzelnen Etappen sind ziemlich detailliert beschrieben und alle Übernachtungsmöglichkeiten aufgelistet. Auch das wichtige Thema der Verpflegung wird im Wanderführer genau erläutert. Einerseits bieten die Hütten und Almen (Bergerias) verschiedene Gerichte, kleine Mahlzeiten und Getränke. Andererseits brauchen die Wanderer Verpflegung für unterwegs. Auf dem Fernwanderweg gibt es natürlich keine Supermärkte. Doch in vielen Hütten und Bergerias kann man Lebensmittel kaufen (nicht günstig, aber bezahlbar). Das Trinkwasser ist bei allen Hütten und Almen kostenlos. Allerdings reicht das Wasser auf den einzelnen Etappen oft nicht aus. Die meisten Quellen sind im Sommer ausgetrocknet. Zwei Liter Wasser pro Person sind auf anspruchsvollen Etappen viel zu wenig, insbesondere an heißen Tagen.
Am Ende meines Berichtes findet ihr wichtigste Tipps für die Wanderung auf dem GR 20.
8,5 Tage Wandern auf dem GR 20 von Calenzana zum Refuge de l’Onda
Anreise von München nach Bastia
Mein Flieger geht am Sonntag um 8:25 Uhr. Ich reise nur mit einem Rucksack. Das ist meine zweite Backpacker-Reise. Vor einem Jahr war ich nur in Griechenland mit Rucksack unterwegs. Diesmal ist mein roter Rucksack Osprey Kyte ziemlich schwer (12 Kilogramm) und kann nicht als Handgepäck transportiert werden. Im Rucksack befinden sich Wanderbekleidung, Wanderstöcken, leichte Sportsandalen, Kosmetikartikel, eine große Systemkamera, ein kleines Stativ, ein leichtes Zelt, eine Therm-A-Rest-Matte und ein Schlafsack.
Nach 1,5 Stunden Flug lande ich in Bastia. Es ist sehr heiß – schon um 10:00 Uhr über 30 Grad. Mit dem Bus fahre ich ins Zentrum von Bastia. Dort lerne ich gleich einen Wanderer aus England kennen, der ebenfalls auf dem GR 20 wandern will. Von Bastia aus will ich mit dem Zug nach Calvi fahren. Dieser Ort befindet sich im Nordosten Korsikas, in der Nähe von Calenzana, dem nördlichen Ausgangspunkt der Wanderung auf dem GR 20. Das ist die einzige Verbindungsmöglichkeit zwischen Bastia und Calvi, die ich zu Hause im Internet gefunden habe. Allerdings braucht der Zug ewig, rund vier Stunden. Am Bahnhof treffe ich noch ein paar andere Wanderer. Sie sind besser informiert und wissen, dass es auch einen Bus nach Calvi gibt. Der Bus fährt um 16:30 Uhr und braucht nur zwei Stunden. Mittlerweile finde ich den Busfahrplan von Bastia nach Calvi im Internet.
Die anderen Wanderer warten im Schatten am Bahnhof auf den Bus. Ich habe keine Lust, über fünf Stunden zu warten. Mit meinem schweren Rucksack gehe ich in Bastia spazieren. Ich sehe mir die hübsche Altstadt von Bastia an, besuche vier kleine Strände und ein Lokal. Bei der Hitze ist das Schwimmen im Meer eine Wohltat.
Die Fahrt mit dem Bus ist spannend. Vom Fenster aus sieht man viele schöne Strände an der Nordküste Korsikas, zum Beispiel in Saint-Florent und L’Île-Rousse. Die Bushaltestelle befindet sich gleich neben meinem Hotel (Grand Hotel Calvi), das ich zu Hause für eine Nacht über booking.com gebucht habe. Nach dem Check-in gehe ich in Calvi spazieren. Die hübsche Küstenstadt hat einiges zu bieten: die sehenswerte Zitadelle aus dem 15. Jahrhundert, einen modernen Yachthafen und eine hübsche Promenade. Es ist schon ziemlich spät, kurz nach Sonnenuntergang. Ich genieße die Stimmung und Calvi by night. Mit dem Besuch eines Restaurants an der Promenade lasse ich den Tag ausklingen.
Anreise von Calvi nach Calenzana
Den Ausgangspunkt der Wanderung, Calenzana, will ich mit dem Bus erreichen. Es liegt nur 15 Kilometer entfernt, aber die Taxis auf Korsika sind sehr teuer. Der Bus fährt erst um 14:30 Uhr. Viel zu spät, aber das weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Vor dem Auschecken mache ich einen Spaziergang am wunderschönen Sandstrand von Calvi und bade im Meer. Danach geht es mit dem Rucksack zum großen Supermarket Super U. Dort kaufe ich die wichtigsten Lebensmittel, die noch in meinen Rucksack passen sowie zwei Flaschen Wasser (2 Liter). Mein Rucksack ist jetzt um 4 Kilogramm schwerer und wiegt über 16 Kilogramm – ich kann ihn kaum tragen. Wie soll das dann erst mit dem Wandern in der Hitze gehen?
Erste Etappe von Calenzana zum Refuge d’Ortu di u Piobbu
Strecke: 11 km
Höhenunterschied: Aufstieg mit kleinen Zwischenabstiegen ca. 1400 m
Dauer: 6,5 Stunden
Startpunkt: Calenzana (270 m)
Ziel: Refuge d’Ortu di u Piobbu (1570 m)
Auf der Bushaltestelle warten mehrere Wanderer, auch mein englischer Bekannter. Nach einer halben Stunde Fahrzeit erreichen wir Calenzana, ein kleines Bergdorf, das auf 400 Metern liegt. Kurz nach 15 Uhr starte ich die Wanderung alleine. Der nette Engländer verträgt die Hitze nicht und will erst nach 18:00 Uhr losgehen. Ich denke, dass mir die Hitze nicht so viel ausmacht, gehe flott und trinke ziemlich viel. Wie sich später herausstellt, ist das schon der erste Fehler.
Am Anfang ist die Strecke ziemlich einfach. Ich denke, dass ich trotz des schweren Rucksacks und der Hitze für die Strecke von 11 Kilometern mit 1400 Höhenmetern nicht mehr als fünf Stunden brauche. Die ersten Stunden im korsischen Gebirge mit Ausblicken bis zum Mittelmeer genieße ich in vollen Zügen. Auf den Felsen sehe ich ein paar Mufflons und es gelingt mir, sie zu fotografieren. Es ist jedoch sehr heiß und ich brauche mehrere Pausen.
Nach vier Stunden erreiche ich die Bocca a u Salutu auf 1276 m. Auf dem breiten Sattel lege ich eine halbe Stunde Pause ein und genieße die Stimmung des beginnenden Sonnenuntergangs. Bis zur Hütte sind nur noch 300 Höhenmeter zu bewältigen, also etwa eine Stunde. Der Wanderweg verläuft in einem Wald. Danach muss ich auf den Felsen klettern. Mit dem schweren Rucksack ist das eine Herausforderung .
Ich hoffe, dass ich die Felsen bald überwunden habe, aber es ist kein Ende zu sehen. Außerdem wird es immer dunkler. Langsam bekomme ich ein mulmiges Gefühl. Ich schlage noch einmal den Wanderführer auf. Auf der Karte sehe ich, dass die Strecke noch mindestens fünf Kilometer ist. Ich habe keine Chance, die Hütte vor dem Einbruch der Dunkelheit zu erreichen. Auf keinem Fall will ich auf den Felsen in der Dunkelheit alleine laufen. Schnell fällt die Entscheidung: umkehren und auf dem breiten Sattel im Zelt übernachten. Beim Abstieg kann ich die Markierungen kaum sehen, aber schnell erreiche ich die Bocca und fange sofort mit dem Aufbau des Zeltes an. Lange bin ich nicht alleine: In der Dunkelheit sehe ich eine Gestalt – mein englischer Bekannter. Er beschließt ebenfalls auf dem Sattel zu übernachten und baut sein Zelt auf. Ich bin erleichtert, dass ich nicht alleine im korsischen Gebirge übernachten muss. Trotzdem kann ich nicht schlafen. Ich befürchte, dass das Zelt dem starken Wind nicht standhält. Zum Glück hält das leichte Zelt einiges aus.
Am nächsten Tag erlebe ich einen wunderschönen Sonnenaufgang. Das ermutigt mich, weiter zum Refuge d’Ortu di u Piobbu zu gehen. Einfach wird es nicht sein, denn ich habe nur noch einen halben Liter Wasser, mit dem ich sehr sparsam umgehen muss. Wir bauen die Zelte ab und beginnen gegen 7 Uhr mit dem Aufstieg zur Hütte.
Zunächst gehen wir auf dem felsigen Bergkamm, auf dem ich gestern umgedreht bin und der sich noch sehr lange zieht. Die Sonne scheint herrlich, aber der schwere Rucksack und Wassermangel machen die Wanderung zur Qual. Hinter dem Bergkamm gehe ich alleine weiter – schneller jetzt, um die Hütte möglichst bald zu erreichen. Insgesamt brauche ich für die Strecke zwischen der Bocca a u Salutu und dem Refuge d’Ortu di u Piobbu rund drei Stunden.
In der Hütte genieße ich eine kalte Cola. Sie schmeckt köstlich. Danach trinke ich reichlich Wasser aus der Quelle und mache endlich eine Brotzeit. Ich bin zwar etwas gestärkt, aber nicht viel mutiger. Die erste Etappe, nicht die schwierigste auf dem GR 20, hat mir gezeigt, dass man den GR 20 nicht mit den Wanderwegen wie dem Meraner Höhenweg in den Alpen vergleichen kann.
In der Hütte treffe ich ein polnisches Pärchen, das in Irland lebt. Ich spreche sie auf Polnisch an, denn ich komme aus Polen. Es stellt sich heraus, dass die beiden auch ziemlich verzweifelt sind. Der Mann will auf jeden Fall weitergehen, aber die Frau denkt darüber nach, zurück nach Calvi abzusteigen. Mir gefällt die Idee ausgezeichnet – ich bin sehr müde und habe überhaupt keine Lust, unter diesen extremen Bedingungen auf dem GR 20 zu wandern. Wie soll ich denn die fünfte Etappe bewältigen, die als extrem schwierig gilt und bis auf 2600 Meter hinaufgeht?
Ich entscheide mich, mit den Polen in der Hütte zu bleiben. Am Nachmittag machen wir eine Tour auf den Gipfel Monte Corona (2144 m), der sich oberhalb des Refuge d’Ortu di u Piobbu befindet. Es ist so einfach, mit dem leichten Rucksack hinaufzugehen. Die Blicke bis zum Meer und auf das korsische Gebirge sind grandios.
Beim Abendessen erleben wir einen herrlichen Sonnenuntergang. Ich schlafe wieder in meinem Zelt, diesmal auf dem Biwakplatz vor der Hütte. Die Nacht ist warm und der Sternehimmel leuchtet wunderschön. Ich bin wie verzaubert und will gar nicht zum Strand absteigen.
Fortsetzung folgt im nächsten Beitrag …
2 comments
Wir waren ja im Oktober 2016 auf Korsika. Und mein erster Gedanke: Ich muss den GR20 machen… Die Insel ist sooooo schön! Wie das dann aber immer so ist, ein Fernwanderweg wie der GR20, den macht man halt nicht einfach so an einem Wochenende – und so steht der weiter auf unserer Traumliste.
Liebe Grüße
Florian
Genau, für den GR20 braucht man Zeit – 14 bis 18 Tage (besonders, wenn man gerne fotografiert). Ich werde demnächst einen allgemeinen Artikel über den Fernwanderweg auf Korsika schreiben. Für die Beschreibung der einzelnen Etappen, die ich bewandert habe, fehlt mir momentan die Zeit.